Noch ein weiter Weg - Moto Morini X-Cape 649 Test
So gut ist die Reiseenduro aus chinesischer Produktion
Moto Morini ist neben Benelli, Lambretta und Co. ein weiterer italienische Hersteller, der durch chinesische Geldgeber wiederbelebt wurde. Die X-Cape ist eines von nur zwei aktuellen Moto Morini Modellen und davon die einzige Reiseenduro. Macht die X-Cape 649 dem altehrwürdigen Namen Moto Morini alle Ehre?
Moto Morini war eine hochrespektierter und auch erfolgreicher Name in der italienischen Motorradindustrie des 20. Jahrhunderts. Ab 1946 baute man unter der Führung von Alfonso Morini technisch fortschrittliche und zuverlässige Zweiräder. Es begann bei 125er 2-Takt-Maschinen und steigerte sich im Laufe der Jahrzehnte zu V2-Bikes mit 350 - 400 cm³. Doch wie so viele andere Sterne am italienischen Motorradhimmel, verlor auch Moto Morini gegen Ende des Jahrtausends an Strahlkraft, teils aufgrund von hausgemachten Problemen, teils aufgrund externer Faktoren. 1986 wurde die Marke mit Cagiva, Ducati und Husqvarna zusammengefasst und wenig später die Produktion eingestellt. Ein paar Wiederbelebungsversuche gab es danach noch durch die Morini Familie, doch 2009 war Moto Morini endgültig pleite. Das zweite Revival gab es 2011 durch die Jannuzzelli Unternehmer und 2018 übernahm die chinesische Zhongneng Vehicle Group. Die Marke Moto Morini hat also eine turbulente Vergangenheit hinter sich. Die neuen chinesischen Inhaber haben mit der Seiemmezzo und der X-Cape nun zwei Modelle im Programm, die sich ihre Bauteile per Baukastenprinzip und Lizenzbau leihen. Das wird auch von anderen Herstellern praktiziert und kann leiwande Motorräder zu Tage bringen, wie wir beim Test der Fantic Caballero 700 festgestellt haben. Trifft das auch auf die Moto Morini X-Cape 649 zu?
Technische Daten der Moto Morini X-Cape 649
Vibrierendes Herzstück im stählernen Kleid - Test der Moto Morini X-Cape
Der Motor der X-Cape ist bekannt, denn es ist das Aggregat aus den 650er Modellen von Kawasaki. Allerdings haben die Ingenieure bei Moto Morini nicht ganz die gleiche Leistung aus dem 649 cm³ Reihenzweizylinder herausholen können, denn sie leistet mit 60 PS bei 8.250 U/min immerhin 8 PS weniger als die Kawa Modelle und das bei höherer Drehzahl. Doch dieser Leistungsverlust wäre weniger tragisch, wenn dafür eine gute Laufruhe und Motorcharakteristik gegeben wäre, oder das Gesamtgewicht der X-Cape sich in Grenzen halten würde. Leider ist das Gegenteil der Fall. Sobald der Motor unter etwas mehr Last gefahren wird, sind hochfrequente Vibrationen im ganzen Motorrad spürbar. Da könnte man im ersten Moment meinen: "Uh, da tut sich was!". Doch dann blickt man auf den Tacho und sieht die Geschwindigkeitsanzeige im schönen und großen TFT-Display nur langsam ansteigen. Das liegt wohl auch am Gewicht. Die X-Cape strotzt nicht gerade vor Leichtbau-Komponenten. Trotz ihres vergleichsweise kleinen Hubraums bringt sie im vollgetankten Zustand mächtige 234 kg auf die Waage. Das sind immerhin fast 15 kg mehr als die Kawasaki Versys 650 mit quasi gleichem Motor und mehr Leistung. Aber PS und Beschleunigungswerte sind nicht alles beim Motorradfahren. Kann die X-Cape in anderen Bereichen überzeugen?
Produkttipps
Nicht Fisch, nicht Fleisch - Moto Morini X-Cape Test
Die X-Cape zieht schon ab Werk auf ihr 110/80-19 Vorderrad und das 150/70-17 Hinterrad stollige Pirelli Scorpion Rally STR Reifen auf. Die verleihen ihr nicht nur einen Abenteurer-Vibe, sondern funktionieren auch im leichten losen Gelände richtig gut. Auch die voll einstellbare Marzzocchi Gabel mit 175 mm Federweg und das in Vorspannung und Dämpfung verstellbare Kayaba Federbein mit 165 mm Federweg sind positiv hervorzuheben und zeigen die Offroad-Ambitionen der X-Cape. Diese werden jedoch durch das massive Gewicht und eine eher straßenorientierte Ergonomie direkt wieder eingebremst. Für kurzbeinige Piloten eignet sich die X-Cape mit ihrer niedrigen Sitzhöhe von 820 mm zwar gut, doch im Stehen fehlt es an geeigneten Kontaktflächen für die Beine und Knie. Auch die Fußhebel sind nicht gut für den Offroad-Einsatz positioniert. Außerdem ist das Fahrwerk sehr stark auf Komfort getrimmt, woran auch eine Adjustierung der Dämpfung nichts ändert. Vor allem das Federbein bringt bei Unebenheiten sehr schnell Bewegung und Unruhe ins Fahrzeug, wodurch es auf unbefestigten, welligen Untergründen bei dem hohen Gewicht schwer wird, die Fahrlinie zu treffen. So richtig wohl fühlt man sich eher nur auf gut ausgebauten Schotterstraßen und einfachen Wegen.

Gleichzeitig wird auch onroad der Fahrspaß etwas gehemmt. Die Brembo Bremserei der X-Cape ist mit der 298 mm Doppelscheibe und Zweikolben-Bremszange etwas mager dimensioniert, vor allem mit wiederholtem Blick auf das hohe Gewicht. Der Druckpunkt am Hebel ist auch eher weich und intransparent, also möchte man von sportlich Bremsmanövern am Kurveneingang absehen. Drückt man die X-Cape über den breiten, sehr hoch liegenden Lenker in Schräglage, dann kann sie schön durch den Radius ziehen. Dafür braucht es aber einen glatten Belag, denn Unebenheiten bringen wieder das Heck in Schwingung. Um das Handling noch zu verbessern, haben wir ContiRoadAttack 4 Reifen aufgezogen. Die Hypertouring Pneus lassen sich irre schnell und präzise umlegen und bieten selbst bei nassen und kalten Bedingungen noch richtig viel Grip. Mit ausreichend Ruhe und Geduld kann die Moto Morini entspannt durch die Gegend cruisen, wobei auch hier gewisse Kleinigkeiten auffallen. Zum Beispiel ist die Aufnahme der Soziusfußrasten dermaßen gestaltet und montiert, dass die Fersen permanent daran anstoßen und hängenbleiben. Kein Drama, doch auch nicht ideal. Bis zum Schluss bleibt die Frage, was die X-Cape eigentlich sein möchte. Sie ist zu schwer und niedrig für eine Offroad-fokussierte Reiseenduro, gleichzeitig aber auch zu behäbig und weich für eine sportliche Straßenmaschine. Für den Langstreckentourer fehlen ihr Komfort-Features, vielleicht etwas Leistung und vor allem Laufruhe. "Nicht Fisch, nicht Fleisch.", sagt man in Österreich.
Moto Morini X-Cape Ausstattung und Preis-Leistungs-Verhältnis
Elektronik und Co., das können und kennen die chinesischen Hersteller. Nicht umsonst kommt sehr viel unserer Alltagselektronik aus dem fernen Osten. Das Cockpit der X-Cape wird von dem großen 7-Zoll TFT-Display dominiert. Es ist gut ablesbar und übersichtlich gestaltet. Auch sonst bietet die X-Cape viele weitere Features, wie einen Doppel-USB-Stecker an der Front, Smartphone-Konnektivität und Reifenluftdrucksensor. Hat man zusätzlich noch den Preis der X-Cape, der in Österreich um die 8.500 bis 9.000 € liegt, dann sind das in Kombination mit dem voll einstellbaren Fahrwerk schon eine überdurchschnittliche Anzahl an Features für diese Preisklasse. Das kann aber kaum über die Mankos der zentralen Komponenten, vor allem beim Motor, der Ergonomie und beim Federbein, hinwegtrösten. Und dann gibt es auch noch andere Preis-Leistungs-Champs wie die Suzuki V-Strom 650, die um annähernd gleich viel Geld zu kriegen sind und gleichzeitig aber deutlich ausgereiftere Gesamtpakete bieten.
Mit Engagement und Anpassungen an den richtigen Stellschrauben hätte die X-Cape vielleicht noch das Zeug zu einer entspannten Landstraßen-Cruiserin mit leichten Offroad-Kapazitäten. Doch dafür braucht es Verbesserungen an einigen Stellen. Es liegt noch ein weiter Weg vor der X-Cape und Moto Morini, um zur Glorie der alten Tage zurückzufinden. Und dieses harsche Urteil gründet keineswegs in Vorurteilen gegenüber Motorrädern aus chinesischer Fertigung. Wie gut solche Bikes auch funktionieren können, hat mir eindrucksvoll die CFMOTO 800MT gezeigt. Den Vergleichstest zwischen CFMOTO und Moto Morini gibt es demnächst auf 1000PS.
Fazit: Moto Morini X-Cape 2023
Kawa 650er Twin-Motor, eine entspannte Ergonomie, voll einstellbares Fahrwerk und viele elektronische Features - am Papier macht die Moto Morini X-Cape einen vielversprechenden Eindruck. In der Realität hat sie aber leider einige Problemzonen. Allem voran der zahnlose, doch stark vibrierende Motor und das hohe Gewicht. Mit viel Liebe und Modellpflege könnten die Mankos der X-Cape sicher noch behoben werden, doch bis dahin ist sie eher nur was für eingefleischte Fans der italienischen Marke und Liebhaber von Exoten.- Entspannte Sitzposition
- Niedrige Sitzhöhe
- Gute Ausstattung für die Klasse
- Voll einstellbare Gabel
- Hochfrequente Vibrationen unter Last
- Federbein neigt zum Schwingen und Schaukeln
- Eigenwillige Ergonomie
- Sehr hohes Fahrzeuggewicht
Bericht vom 17.10.2023 | 27.828 Aufrufe