KTM Factory Enduro Test

Wir fuhren die Bikes des Enduro Factory Teams

Ok echt jetzt. Das ist so ziemlich das geilste was Dir als Motorradjournalist passieren kann. Du bekommst eine Einladung um die Bikes jener Fahrer zu fahren mit denen du in der WM mitfieberst. Keine Angst liebe Leute das passiert nicht alle Tage, ich musste neun Jahre im 1000PS Büro ausharren bis mich diese frohe Botschaft erlangte.

1000Ps wurde zum Testride der KTM Factory Bikes nach Frankreich geladen. Und da Nastynils, der sich normalerweise alle leiwanden Präsentationen unter den Nagel reisst, gerade auf Urlaub mit seiner Familie war, kam mir, arlo, diese irrsinnige Ehre zuteil.
Wir wurden geladen am Testgelände von Antonio Meo die Bikes von Laia Sanz, Nathan Watson, Taylor Robert und Jonny Walker Probe zu fahren. Ich kanns hier gar nicht in Worte fassen wie mich die Vorfreude auf dieses Event hergerissen hat. Das Gelände von Antoine liegt etwa eine Stunde nördlich von Marseille und zeichnet sich durch lehmigen Boden gemischt mit felsigen Untergrund aus. Am Tag vor dem Test hat es massiv geregnet, jeder der schon mal nach einem Regenguss in Nagycenk war weiss: nasser Lehmboden verträgt sich in einer Verbindung mit einer Enduro nur sehr sehr schlecht. Allen Göttern sei Dank wehte über Nacht ein mächtiger Wind, somit trocknete der Boden auf und wir konnten die Bikes unserer Heroes testen.

Laia Sanz

Das erste Bike auf meiner Agenda war jenes von Laia Sanz, quasi einem Multitalent. Die junge Dame hat bereits mehrmals die Trial WM gewonnen und übt sich nun in der Enduro WM (hat ganz normal jeden einzelnen Lauf mit massiven Vorsprung gewonnen) und macht so nebenbei auch noch etwas Rallye (hat die Dakar 2015 als 9te abgeschlossen). Laias Bike ist von den Enduro GP Bikes eigentlich am nächsten an der Serie dran: Serienmotor, Serienrahmen, Seriengetriebe,… . Allerdings hatte ich genau mit diesem Bike zu Beginn die grössten Probleme. Wir fuhren von Meos Ranch zu einen kleinen Enduro Track inmitten eines Föhrenwaldes. Der Track war relativ kurz und mit unzähligen scharfen Kurven versehen, somit vom Speed her relativ langsam. Die Runde dauerte etwa drei Minuten und nach zwei Runde auf Laias Bike war ich leer. Meine Unterarme quittierten einfach den Dienst. Noch nie zuvor bin ich so eine harte Gabel gefahren. Wenn man vorne eine starre Gabel reinmontiert hätte wär ich wahrscheinlich nicht langsamer unterwegs gewesen. Die erste Niederlage an diesem Tag, eine Frau fährt ein Fahrwerk für das ich einfach viel zu langsam bin! Das kann ich aber so fast nicht stehenlassen, ich hatte am Nachmittag nochmal die Möglichkeit mit Laias Bike zu fahren, diesmal auf einem viel längeren Loop, der auch deutlich schneller war und mehr Flow hatte. Und siehe da, das Fahrwerk war plötzlich gar nicht mehr so steif wie vorher, es passte perfekt. Kopfgrosse Steine, massive Bremswellen vor der Kurve oder der zerbombte Wiesentrack geht plötzlich ganz easy von der Hand. In Situationen bei denen ich normalerweise fürchte, dass es mir den Lenker ganz normal aus der Hand reisst, blieb Laias Bike noch ganz ruhig und es stellte sich ein irre sicheres Gefühl ein.

Taylor Robert

Taylor Robert fährt in der E2 Klasse auch eine EXC-F350. Allerdings ist der Unterschied zu Laias Bike doch erheblich. Robert und Watson fahren Factory Motoren also Werksmotoren mit einigen edlen Teilen drin verbaut. Stark verwundert hat mich, dass bei allen Factory Modellen die Spitzenleistung der Bikes nur geringfügig über der Serie liegt. Allerdings ist die Motorcharakteristik bei allen Bikes komplett verschieden. Je nachdem wie sich der Fahrer am wohlsten fühlt. Bei manchen Bikes hatte ich sogar den Eindruck, dass das Ansprechverhalten des Factory Motors deutlich smoother von der Hand geht als es bei der Serie der Fall ist. In Sachen Fahrwerk vertraut Robert wie auch Watson auf die Cone Valve 52er Gabel (Sanz und Walker fahren CV48). Die 52er ist durch den grösseren Durchmesser von Haus aus etwas steifer als die 48er und somit für noch mehr Speed ausgelegt. Eins haben allerdings alle Fahrwerke gemein, je langsamer Du damit fährst desto unfahrbarer werden die Bikes. Je schneller ich mit den Bikes fuhr desto besser konnte auch das Fahrwerk zeigen, was es kann. Ich muss allerdings ganz ehrlich dazusagen, dass ich nicht mal annährend in den Bereich kam in denen die Fahrwerke optimal arbeiten konnten. Zur Hinterraddämpfung ist bei allen Factory Bikes das Trax System von WP verbaut.

Nathan Watson

Dem Roberts Bike am nächsten kommt jenes von Watson allerdings mit nur 250 Kubikzentimeter. Watsons 250er fährt sich fast wie eine kleinhubige 2Takter, untenrum ist wenig los, mit zunehmender Drehzahl haut die Maschine allerdings dann richtig rein. Aber wie auch bei den anderen Bikes überfordert der Motor in keinem Bereich und überrascht auch nirgends, eine sehr smoothe und lineare Leistungsentfaltung eben. Bei Watson findet man wie auch auf allen anderen Bikes eine Akrapovic Komplettanlage, die mitverantwortlich für die angenehme Leistungsentfaltung ist. Bei beiden Bikes ist eine StepUp Sitzbank verbaut, sowohl Watson als auch Robert sitzen im Kurveneingang teilweise zu weit hinten. Die Sitzbank weist den Fahrer dann in die richtige Position, der am Kurveneingang somit genug Druck am Vorderrad hat. Beide Jungs fahren auch mit dem SX Getriebe. Sie verzichten also auf den sechsten Gang, da die Sonderprüfungen hauptsächlich mit den Gängen 2,3,4 gefahren werden und der Top Speed kein entscheidendes Kriterium bei einem GP Lauf ist. Dafür ersparen sich die Burschen einiges an Schaltarbeit, was gerade in heiklen Situationen nicht hilfreich ist wenn durch einen Gang Wechsel die Traktion abreisst. Die restlichen Änderungen halten sich in Grenzen, sowohl Watson als auch Robert fahren die SX Fussrasten Anlage die 5mm tiefer liegt. Die Begründung dafür liegt in der Körpergrösse, beide Jungs sind etwas grösser und durch die tieferen Fussrasten verringert sich der Kniewinkel etwas. Nahezu alle Bikes unterscheiden sich in durch die Bremsen an der Front. Zwar verwenden alle die Powerpart Bremszange, allerdings verwendet Sanz einen kleineren Durchmesser an der Bremspumpe als Robert und Watson um das Vorderrad besser dosieren zu können.

Jonny Walker

Durch meine Ambitionen in Richtung Hard Enduro freute ich mich am meisten auf das die 300 EXC von Jonny Walker. Die Fahrt war ein echtes Erlebnis. Nie zuvor bin ich mit einer so fein abgestimmten 2Takter gefahren. Die kommt von unten ganz ruhig raus, hat aber schon fettes Drehmoment und wird nahezu linear immer stärker. Die Leistungsentfaltung passiert quasi ganz unspektakulär und ohne Überraschungen, allerdings mit mächtig Leistung im oberen Drehzahlbereich. Etwas verdutzt hat mich dann das Gespräch mit dem Factory Mechaniker. Bei Walkers Bike ist der komplette Antrieb Serie wie jetzt? Echt? Ja, in den letzten Jahren hat er viel herumgetüftelt um die optimale Abstimmung zu finden, auf dem neuen 17er Modell hat aber auf Anhieb alles gepasst, lediglich die Einstellungen am Vergaser heben sich von der Serie ab. Ansonsten sind Vergaser, Motor und auch der Krümmer gleich wie auf jeder 300er die im Schauraum bei den Händlern steht. Der Akrapovic Enddämpfer sieht zwar gut aus, wirkt sich aber nur minimal auf die Motorcharakteristik aus. Wie Watson und Robert fährt Walker ein 5 Gang Getriebe aus dem amerikanischen XC Modell. Als einziges der vier Factory Bikes findet man auf Walkers Maschine eine grössere Bremsscheibe vorne. Die MotoMaster mit 260mm Durchmesser gibt Jonny eine bessere Dosierbarkeit und schützt vor Überhitzung bei langen Abfahrten. Geringfügig anders ist auch das Kühlsystem auf Jonnys 300er, zwar findet man auf allen Factory Maschinen den Kühlkreislauf der SX Modelle (also ohne Thermostat) und einen zusätzlichen Ventilator der sich bei ca. 85°C einschaltet. Auf Jonnys Bike ist allerdings auch ein Schalter verbaut mit dem er den Ventilator auch manuell einzuschalten kann, etwa um vor einer schwierigen Situation die Temperatur des Kühlwassers vorsorglich nach unten zu bringen. Auch in der Reifenwahl unterscheidet sich Walkers Bike von allen anderen, während Jonny einen weichen Goldentyre fährt sind auf den restlichen Bikes Metzeler Six Days Extreme Gummis montiert (bei allen wird Mousse verwendet).

Ich möchte noch auf zwei Fragen eingehen die mir in den letzten 24 Stunden gefühlte 165mal gestellt worden sind. 1 Kann ich mir auch mein eigenes Factory Bike bauen? Eigentlich ja, bis auf die Innereien von Watsons und Roberts Bike finden sich eigentlich alle Teile also Fahrwerk, Bremsen und sonstige Teile im KTM Powerpart Katalog. 2 Ist man mit dem Factory Bike schneller unterwegs? Jein, es kommt natürlich vorrangig darauf an, wo deine fahrerischen Fähigkeiten liegen. Beim Thema Fahrwerk ist ein von Haus aus steiferes Factory Fahrwerk für einen durchschnittlichen Fahrer meistens sogar kontraproduktiv, da es bei langsameren Geschwindigkeiten deutlich mehr Kraft kostet als ein Serienfahrwerk. Anders verhält es sich beim Motor, die Factory Bikes sind durchwegs smoother abgestimmt und unterscheiden sich von der Serie in der Spitzenleistung kaum. Die Leistung entfaltet sich also etwas kräfteschonender als bei der Serie, das ist auch für einen Hobbyfahrer von Vorteil. Die sonstigen Änderungen beziehen sich meist auf die persönlichen Vorlieben der Fahrer, um ihnen einen möglichst angenehmen Arbeitsalltag zu ermöglichen.

Bericht vom 16.09.2016 | 16.692 Aufrufe

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